Von der Professionalisierung der Deprofessionalisierung

Ich möchte im heutigen Weblog-Eintrag von einem IT-Trend berichten, den ich “Diletantisches Zukurzdenken” genannt habe. Dieser Trend ist eng mit dem Konzept des “Gefährliches IT-Halbwissen” und der Erscheinung “PC-Welt-Decision-Making” verwandt. Abkopplung Entscheider/IT-Entscheider/Administratoren
Spricht man heute mit Administratoren, so fällt auf, das auch diese teilweise nicht mit mehr mit den Entscheidungen zufrieden sind, die von IT-Entscheidern gefällt werden. Ich habe in den Gesprächen, die ich auf der CeBIT geführt habe, oftmals gehört, das sie eigentlich sich andere Dinge in Rechenzentrum stellen würden, aber aus anderen Gründen dies nicht so realisieren können.
Ich habe nun genauso häufig mit IT-Entscheidern zu tun, die von der gleichen Abkopplung ihrer Gruppe von den Entscheidern eines Unternehmens berichten. Es werden bestimmte Aufgaben an eine IT-Abteilung gestellt, diese aber nicht entsprechende prozessmässig oder monetär hinterlegt.
Gleichzeitig liegt die Entscheidung für oder gegen eine Technik nur noch zum Teil in den Händen der IT. Oftmals obliegt die letzte Entscheidung garnicht mehr der operativen IT-Abteilung, sondern Controllern und Einkäufern, die nur eingeschränkt über das Wissen und die Erfahrung zum Aufbau von IT-Systemen haben Decision-Making by PCWELT
Ich möchte jetzt wirklich nicht die PCWELT beleidigen. Sie ist für den User daheim eine wirklich gute Zeitschrift. Man könnte hier jede andere Zeitschrift einfügen. Aber durch die Qualität dieser Zeitungen werden eine Vielzahl von Menschen mit einer Menge Computerwissen versorgt, das diese im Privatleben in der Benutzung ihres Heimrechners unterstützt.
Einem Administrator und guten IT-Entscheidern ist jetzt völlig klar, das dieses Wissen weitestgehend wertlos ist. IT hat eben andere Gesetze als der Rechner daheim. Eine IT-Entscheidung wird aber nun seit langem nicht mehr von der IT-Abteilung gefällt. Eine Vielzahl von Personen, so schön Business-Denglisch auch Stakeholder genannt, sind ebenso beteiligt. Die Fachabteilung, der Controller, die Geschäftsführung. Und alle verfügen über eben jenes Computerwissen, das sie versuchen in solchen Entscheidungssituationen einzusetzen. Nach besten Wissen und Gewissen aufgebaute Konzepte der IT werden von den Fachabteilungen durchleuchtet. Jetzt ist es vielen Menschen schwer zu vermitteln, das IT ein wenig mehr verlangt als der Rechner daheim. Wenn die Computerzeitschrift suggeriert, es wäre mit Linux und ein paar Regeln getan, um das Unternehmensnetzwerk vor Eindringlingen zu schützen, fällt es schwer zu erklären, warum die IT-Abteilung ein grosses Budget haben möchte. Und so sind viele IT-Entscheidung eben von der PC-WELT getragen. Das führt dann direkt zu einem Effekt den ich diletantisches Zukurzdenken nenne. Diletantisches Zukurzdenken
Es gibt einen Grund für Überhöhung der Non-IT-Stakeholder in Projekten. Kosten. Die IT hat lange Jahre gut gelebt und vielleicht stellenweise auch übertrieben und somit diese Gegenreaktion herausgefordert. Gegen Kosteneinsparungen ist nicht wirklich etwas einzuwenden. Ich verdiene mein Geld groesstenteils damit Kunden zu erklären, wie mit dem Einsatz neuer Technik Geld sparen können (Böse Zungen könnten jetzt sagen: “Ich löse die Probleme der Kunden, die sie ohne mich nicht hätten”). Das gefährliche Halbwissen führt jetzt dazu, das Entscheidungen nicht zu Ende gedacht werden.
Schöne Beispiele sind Firewalls. In einer Vielzahl von Projekten werden Linux-Maschinen eingesetzt, um als eine Art Firewall eingesetzt zu werden. Ist ja so schoen preiswert : Billigen PC vom nächstgelegenen Händler und eine Debian Linux-CD. Dabei ist gerade das die unökonomischste Wahl. Einer professionellen Firewall kann Linux selten Paroli bieten (Ich sage nur HA und Monitoring). Andererseits: Eine einfache Appliance-Firewall muss ich nicht erst installieren, konfigurieren und härten. Mal ganz davon abgesehen das ein PC-Server um die 200-300 Watt schluckt, während eine kleine Appliance vielleicht 50 Watt verbraucht. Egal wie ich es sehe, die einfache Linux-Firewall ist stets die schlechtere Wahl.
Diese Punkte werden aber oftmals übersehen. Der Grund ist eben jenes diletantisches Zukurzdenken. Seine Ursache hat es im oben beschriebenen “Decision Making by PCWELT”. Der oberflächlichen Einsparung wird kein professioneller Reality Check entgegengestellt. Die IT-Entscheidung ist entprofessionalisiert. Elevator Effect
Es gibt einen weiteren Effekt, der diese Tendenz beschleunigt. Ich weiss nicht , wie oft ich auf der letzten CeBIT Begriffe wie “Simplicity” oder “Reducing Complexity” gelesen habe. Das sind zunächst einmal schöne Begrifflichkeiten, die alle miteinander nicht wirklich wahr sind. “There is nothing like a free lunch” und es kann keine IT ohne Komplexität geben. Und diese Komplexität steigt, je aufwändiger die Aufgaben werden, die durch die IT-Abteilung zu lösen sind. Das führt letztlich dazu, das wir eine Art Elevator Effekt haben.
Jede IT-Abteilung muss letztlich mit dem Problem kämpfen, das sie letztlich in den den Zustand gerät, der zum diletantischen Zukurzdenken führt. Die IT wird am Ende so komplex, das sie nur noch von Spezialisten verstanden werden kann. Auch hier ist kein professioneller Reality Check mehr durch die Abteilung möglich. Auch hier ist die IT-Entscheidung entprofessionalisiert, wenn auch höheren Niveau. Das Verunsicherungstrategem
Ich habe eben die Entprofessionalisierung als unerwuenschte Begleiterscheinung der Gegenreaktion zu den Kosten der IT beschrieben. Entprofessionalisierung hat auf den Kunden einen unangenehmen Effekt: Unsicherheit und Angst. Neue Entwicklungen können nicht mehr sicher eingeschätzt. Der Nutzen wird unklar, die Risiken werden überhöht dargestellt.
Es gibt wiederum nun mehrere Gegenreaktionen. Einige sind offensichtlich. Der Preisverfall auch bei Highend-Servern ist augenfällig und addressiert den Kostendruck.
Die Angst wird durch eine Vielzahl von Studien addressiert, die vorgeben, dem IT-fremden Stakeholder eine Stategie an die Hand zu geben, die Unsicherheit im Unternehmen zu addressieren. Es handelt sich dabei allerdings eher um ein Strategeme, denn um eine wirkliche Strategie.
Eine Vielzahl von Beratungsfirmen hat in den vergangenen Jahren nicht schlecht davon gelebt, Unruhe zu stiften im Lager der Anwender. Das ganze lief unter dem Arbeitstitel “Open Source in die Firmen und Behörden”. An sich ist nichts gegen Opensource einzuwenden. Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist die zugrundeliegende Hidden Agenda. Ziel ist die Erzeugung von Beratungsbedarf in der unmittelbaren Zukunft im Rahmen von Migrationen.
Dabei ist zu beachten, das eine Migration zum OpenSource niemals aus einer technischen Notwendigkeit erfolgt. Es gibt nur wenige Fälle, in denen ein Opensource-Produkt einer kommerziellen Lösung wirklich so weit überlegen ist, das eine Migration zwingend erscheint. Eine Migration erfolgt meist aus psychologischen Gründen. Ein Moment ist die Angst vor der Abhängigkeit von einem Hersteller, auch wenn dieser an seinen Schnittstellen offen ist. Mit der Verfügbarkeit des Sourcecodes eines Programms wird die Hoffnung nach Unabhängigkeit verbunden, auch wenn nur wenige dieses Privileg zu nutzen wissen.
Diffuse Ängste und Hoffnungen prägen also das Bild der IT-Entscheidungen. Eine gebetsmühlenartige Wiederholung von Alternativen nährt diese Emotionen noch und führt zur Verunsicherung des Personals. Gleichzeitig sind die IT-Abteilung durch die fortschreitende Entprofessionalierung nicht mehr in der Lage eine wirkliche Analyse der Situation durchzuführen und fallen irgendwann der Strömung anheim, die sich am stärksten bemerkbar macht und deren Unterbau zumindestens einer oberflächlichen Überprüfung standhält. Die Verunsicherung führt zum Greifen des ersten erreichbaren Stohhalms.
Was ist im Falle von OpenSource nun passiert ? Eine Vielzahl von Analysten, Medien und Firmen haben in seltsamer Einigkeit folgende Meme gestreut:
•Software eines professionellen Herstellers engt den Benutzer ein, sie liegt nicht im Source vor, und ist somit der Weiterentwicklung einer IT-Abteilung hinderlich.
•OpenSource-Software ist kostenlos, jeder kann mitmachen, der Nutzer wird nicht eingeengt.
Wiederholt man diese Meme nur oft genug, so fangen sie sich in den Gedanken der Entscheider. Das Problem ist nur, das zum einen diese Meme wie bei jeder guten Salesstrategie die Hälfte der Geschichte ist und zum anderen selten technisch unterlegt wird. Das einzige Argument, welches hier oft genannt wird, ist die Möglichkeit im Fehlerfalle selber Fehler im Code beseitigen zu können. Nur: Aus meiner Projekterfahrung heraus ist kaum ein Mitarbeiterstab dazu in der Lage entweder zeitlich oder fachlich diese Aufgabe zu übernehmen. Sie wird wieder an externe Dienstleister delegiert. Schlussendlich ist wenig gewonnen, nur der Inhalt der Variablen hat sich geändert.
Warum ist Opensource-Software trotzdem so erfolgreich ? Ganz einfach, es fühlt sich besser an. Die Antwort “Wir setzen freie Software ein.” auf die Frage “Sind wir von einem einzelnen Hersteller abhängig?” wird selten hinterfragt.
Der Einsatz von Opensource ist also eher eine psychologische denn eine technische Weiterentwicklung . Für IT-Dienstleister ist es jedoch ein Geschenk, da es die Aufwände von den Softwareherstellern zu den Anbietern von Dienstleistungen umschichtet. Das Verunsicherungsstrategem funktioniert also. Die Professionalisierung der Entprofessionalisierung
Die gefährliche Konsequenz der Verunsicherung ist die Professionalisierung der Entprofessionalisierung in ihrer Vielzahl von Spielarten.
Diese Unruhe und die üblicherweise mit solchen Veränderungen einhergehenden Probleme haben zu einer Verängstigung der IT-fremden Stakeholder geführt. Ich möchte nicht behaupten, das dies der beabsichtigte Effekt war, dennoch kann diese Angst dazu führen, das Stakeholder nicht mehr der eigenen IT-Abteilung im Hause vertrauen und sich am Ende dazu entschliessen, diese Aufgaben aus dem Haus zu verlagern.
Wird dies in der Spielart Outsourcing betrieben, hat dieses einen äussert negativen Effekt. Die IT-Abteilung degeneriert zur Überwachungsfunktion für die Einhaltung von Service Level Aggreements. Letztlich wird die Abteilung dadurch weiter entprofessionalisiert. Die Bindung an den Dienstleister wird immer stärker bis eine Trennung kaum mehr möglich ist. Am Ende ist eine Firma aus IT-Sicht deprofessionalisiert, eine inhaltliche Prüfung des Auftragsgegenstands ist nicht, oder wiederum nur noch mit Hilfe weiterer Berater möglich.
So gesehen ist Outsourcing die Professionalisierung der Entprofessionalisierung. Es ist die Antwort der IT-Industrie auf den Kostendruck. Letztlich ist am Markt ein Krieg um Marktanteile im Gange. Der Glücksfall, das durch den frühen Internet-Hype eine Vielzahl von Unternehmen wie unbestelltes Land vor der IT-Industrie lagen, hat sich in Luft aufgelöst. Es geht mittlerweile nur noch um Verteidigung bestehender Kunden und die Aquirierung der Kunden anderer Markteilnehmer. Nun ist insbesondere bei der heutigen Leistungsfähigkeit der Systeme kaum mehr ein nennenswerter Kapitaleinsatz von Nöten, um eine Aufgabe zu erfüllen. Vielfach reichen heute Systeme der Einstiegsklasse.
Der Erwerb der Hardware (oder vielmehr der damit verbundene Kapitaleinsatz) ist nicht mehr wirklich ein Kundenbindungskriterium. Durch den massiven Einsatz von Opensource gilt dies zunehmend auch für Software. Dienstleistung stellt somit das letzte Kundenbindungsmittel dar, das einem Hersteller noch zur Verfügung steht.
Entprofessionalisiere ich eine IT-Abteilung hilft das dem Hersteller in zwei Richtungen. Zum einen beraube ich den Kunden der Möglichkeit, die Strategie in der Kundenbeziehung wirklich zu bewerten oder neu auszurichten, zum anderen binde ich dadurch den Kunden.
Zum anderen erhöhe ich die Menge der nachgefragten IT-Dienstleistungen. Eine professionelle und gut trainierte EDV-Abteilung wird potentiell mehr der einfachen und risikoarmen Dienstleistungen selbst durchführen und übernimmt damit gerade jene Dienstleistungen, die in Projekten die Marge bringen, da zum einen die in den Standardtagessatzen integrierten Risikozuschläge keine Anwendung finden und der Dienstleister dafür auch Mitarbeiter einsetzen kann, die nicht zu seinen Spitzenkräften gehören.
Die Rücknahme einer Entprofessionalisierung erscheint dann höchstens für große Unternehmen möglich zu sein, da die interne IT-Abteilung dann von Grund auf neu aufgebaut werden muss. Alternativen zur Entprofessionalisierung
Der Komplexitätszuwachs in der IT ist unausweichlich, auch wenn technische Mechanismen diese vielleicht ansatzweise Verbergen können. Die Frage ist nun, in wie weit ein Kunde diese Komplexität beherrschen kann, ohne sich in die Abhängigkeit externer Größen zu geben.
Aus meiner Sicht müssen zumindestens folgende Anforderungen erfüllt sein:
•Kunden müssen in der architektonischen Verantwortung für Projekte verbleiben. Der Kunde muss jederzeit die Grundlagen verstehen, auf denen seine IT beruht.
•Es muss sichergestellt werden, das dem Kunden im Projektverlauf zumindestens so viel technisches Wissen über die neuen Konzepte beigebracht wird, das dieser die Korrektheit und Stichhaltigkeit bewerten kann.
•Im Projektverlauf ist der Kunde zu professionalisieren. Natürlich kann man eine bereits nahezu deprofessionalisierte IT-Abteilung nicht über Nacht in eine schlagkräftige Abteilung umwandeln, dennoch sollte ein Anfang gemacht werden.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was beide Partner innerhalb eines Projektes davon haben: Für den Auftraggeber ist dies offensichtlich. Er gewinnt dadurch Wissen, seine Mitarbeiter erfahren dadurch eine Aufwertung. Dem Kunden muss aber bewusst sein, das projektbegleitende Professionalisierung Zeit und somit Geld erfordert. Langfristig ist es jedoch gut angelegt. Spätestens bei der ersten Nachverhandlung eines Outsourcing-Vertrages kann es sonst schmerzlich bewusst werden, das man einer gut eingespielten Vertriebs/Presales-Engineer-Mannschaft nichts mehr entgegen zu setzen hat.
Für den Dienstleister ist der Vorteil eher langfristiger Natur. Es stellt eine Art Impfung dar. Ein professionalisierter Kunde ist zwar schwerer zufrieden zu stellen, er ist aber gleichermaßen immunisiert gegen mittlerweile eher auf Buzzword Bullshit Bingo denn auf technischer Überlegenheit und Validität basierender Verkaufsstrategien. Die Professionalisierung ist also eine Art Instrument der Kundenbindung.