Soundtrack zum Leben

Eine gute Freundin von mir meinte mal, das Musik im Grunde genommen nur von drei Empfindungen handelt, etwas gefunden zu haben, etwas zu haben und etwas verloren zu haben. In 90% aller Fälle handelt es sich dabei sogar noch um eine bestimmte Empfindung: Liebe. Jahre später habe ich dann diese Theorie dann noch mal in einem Buch und später in einem Film bestätigt gesehen: High Fidelity. Es gibt kein Film und kein Buch, welches den Zusammenhang zwischen Musik und Gefühlen besser beschreibt.
Ich verstehe irgendwie, das Jugendliche Drogen nehmen oder sich Bäume oder Rasierklingen suchen, um aus dem Leben zu scheiden, wenn sie ständig von Erwachsenen damit beschallt werden, wie sehr doch das Ende einer Beziehung an den Nerven zieht.
Man nehme ich nur mal das Lied “Schnappi”. Für den oberflächlichen Beobachter nur ein Lied gar niedlich in seiner Machart, das von Krokodil mit leichter Schnapptendenz handelt. Die eigentliche Aussage dahinter ist eine ganz andere: Du bist Opfer deiner Triebe und du wirst dich niemals davon befreien können, egal wie sehr du da gegen ankämpfst. Du wirst schnappen. Es ist die Kinderversion aller Lieder, die von den Trieben der Erwachsenen handelt. “Es tut weh, aber ich verliebe mich erneut, weil dieser Wunsch verankert ist, weil ich nicht anders kann. Ich muss schnappen, der Trieb ist in mir”.
Begleitend dazu gibt es schon seit Jahren einen Zeichentrickfilm, der dieses Bild noch auf Klassenzugehörigkeit ausweitet: Ein Kind moechte sich aus dem elterlichen Milieu erheben und wählt dafuer einen Beruf, fuer den es so garnicht geeignet ist. Dabei ist der Junge in anderen Dingen garnicht unbegabt. Auch wenn die Ideen nicht einer gewissen Skurilitaet entbehren, so sind sie schlussendlich doch zielfuehrend. Man mag jetzt naiverweise wie folgt deuten: Du hast bestimmte Eigenarten, die dir in die Wiege gelegt sind, lerne deine Stärken zu nutzen, auch wenn deine Schwächen dir andere Dinge schwer machen. Die eigentliche Aussage ist viel brutaler: Du bist wer du bist, deine Wuensche interessieren uns nicht, bleib bei dem was du hast, bleib bei deinesgleichen, und nutze der herrschenden Klasse mit deinen Fertigkeiten. Nur der Erzaehlkunst der Autoren ist es zu verdanken, das “Grisu - der kleine Drache” dennoch so beliebt unter Kindern ist. Lady Rovena und Sir Cedric sind quasi prototypisch fuer die momentan oekonomisch herrschende Klasse der MBA-bewehrten Topmanager, die ihre Mitarbeiter (dargestellt durch Grisu und seinen Vater Fumé - der sich mit seinem Schicksal abgefunden hat und nicht mehr die kindliche Naivitaet gegenueber einer moeglichen Revolution der Umstände besitzt) zur Zweckerfüllung global einsetzt. Du wirst nie Feuerwehrmann und du wirst nie Teil der herrschenden Klasse sein. Brutal, nicht wahr ? Und da setzen wir unsere Kinder und Geschwister vor, wenn wir gerade keine Lust haben, uns um sie zu kümmern.
Das Kinder teilweise garnicht wissen, von was ein Lied nun so wirklich handelt ist mir vor einigen Jahren auch klar geworden. Wenn etwa acht- bis zehnjährige Mädchen lauthals bei Mouse-T “Horny” mitsingen, ist entweder mir etwas über die neusten Erkenntnisse der kindlichen Entwicklung entgangen oder diesen Mädchen ist die Bedeutung dieses Vokabulars noch nicht so bewusst.
Wobei mir allerdings der Zusammenhang zwischen “horny” und diesem Lied noch nicht so ganz klar ist. Das Lied sollte eigentlich bei noch nennenswert vorhandenem Musikgeschmack zu sofortiger sexueller Dysfunktion führen.
Um mich jetzt mal wieder aus den Niederungen der expliziteren Komponenten der menschlichen Paarbindungen zu erheben: Spricht man jemanden auf Musik zu einer laufenden oder vergangenen Beziehung an, wird er oder sie einen ganzen Soundtrack zusammenstellen können. Das Lied, als man sich das erste Mal getroffen hat (entschuldbar, wenn man das nicht mehr weiss), die Musik zum ersten Kuss (schon weniger entschuldbar), die CD die während des ersten körperlichen Paarbindungsprozesses lief (das ist schon mal garnicht zu entschuldigen) oder auch die Musik während man gemeinsam in Urlaub gefahren ist. Selbst wenn man sich nicht daran erinnert, so ruft doch das Hören positive Empfindungen hervor. Unbewusst. Deswegen muss man noch nicht mal fragen, was diese Lieder sind. Beobachtet man das Gegenüber genau, so erkennt man bereits nach den ersten Takten, das es es sich um ein solches Lied handelt. Das Lächeln, die leichte Errötung, das Grinsen. Menschen sind so durchschaubar. Bin da nicht anders: Apoptygma Berzerks “Kathys Song” kann ich bis heute nicht ohne zu Lächeln hören.
Seltsamerweise erinnern sich noch mehr Menschen an die Musik, die sie in der Trennung von jemanden gehört haben. Das hämgt aber wohl eher damit zusammen, das viele Menschen dann auf die gleiche Musik zurückgreifen. Ich habe in der ersten wirklich üblen Trennung zu Apocalyptica gefunden und bin dabei geblieben. Obwohl ich mittlerweile für diese und ähnlich betruebliche Anlaesse eine recht gute Playlist habe - sinnigerweise betitelt mit dem Namen “Music for the Gasherd, Vol I”. Eigentlich am besten in jenem Schrank zu verwahren, der nur zu zweit geöffnet werden kann. Man kann es nicht besser selbst rausschreien, man kann die Wut nicht besser kanalisieren als mit “Digging in the Dirt” von Peter Gabriel. Der ganze Frust einer endenden Beziehung in vier Minuten.
Am Ende ist es genau dieser Grund, warum Musik existiert. Sie ist nicht dafür da, irgendwelchen Menschen Geld in die Tasche zu stecken. Sie ist nicht dazu da, einfach nur verkonsumiert zu werden, ohne das sie bleibende Eindrücke hinterlässt. Musik ist eine Droge. Konservierte Gefühle in kleinen Dosen. Einnahme nach Bedarf. Keine Nebenwirkungen bekannt.