Der Wetware Divide in der Praxis

Ich habe ja vor einigen Tagen hier im Weblog vom Wetware Divide geschrieben. Wenn man sich mal die Umwelt genau betrachtet, ist er da. Er ist nachgerade offensichtlich. Man kann ja von der Werbebranche halten was man will, aber sie hat ein Ohr und ein Auge für die Entwicklungen der Menschen. Und somit stellt sie oftmals dann doch einen guten Spiegel dar, um den Zustand einer Gesellschaft in wenigen Minuten oder Augenblicken zu erfassen. Ich meine jetzt nicht jene Minderheit, die in der Lage ist, Werbung aktiv zu rezipieren und auch zu analysieren, sondern die Zielgruppen, für diese Art der Manipulierung geschaffen worden ist, um das Ziel der Bedürfnisgenerierung zu erreichen. Ich möchte jetzt nicht eine Seite für per se leichter manipulierbar halten. Manipulation funktioniert auf beiden Seiten des Wetware Divides. Nur das er auf der anderen Seite in einer angepassten Form getrieben werden muss. Was dem einen sein Roller/Möbelrampe/Dodenhof-Zeitungbeileger ist, ist des anderen Manufaktum-Katalog.
Worauf ich hinaus will, ist die Art und Weise der Beinflussung. Sprache, Gestaltung, Aussage. Mein Lieblingsbeispiel ist hier Kino und Kinoplakate. Noch vor einigen Jahren hiess es “Der neue Film von Jaques Bubu” … oder so ähnlich. Transferleistung war dann : “Herr Bubu hat Film auch A gemacht, der mir so gefallen hat. Schatz, hast du Lust in Film B zu gehen. Der ist auch von Bubu”. Heute ist das doch sehr viel einfacher. Wer den Film gemacht hat ist irrelevant und wahrscheinlich eh längst vergessen. Es heisst dann nur noch “Film B - von den Machern von Film A”. Wie ich schon dieses Wort hasse. Machern. Kein Produzent, kein Regisseur, keine Drehbuchautoren. Man macht einen Film, man schafft ihn nicht, mehr produziert ihn nicht.
Zugegebenermassen, von den Drehern von Film A wuerde noch eigenartiger klingen. Gut das die Werber nicht von “Man dreht einen Film” ausgegangen ist. Und ist ein Regisseur, ein Produzent – den die sind meist damit gemeint - überhaupt Macher ? Ein Regisseur überwacht den Schaffensprozess, ein Produzent ebenso. Müsste es dann nicht eher heissen : “Von den Überwachern von Film A”.
Okay, ich schweife ab. Worauf ich hinauswill. Im Auge des Wetware Divide muss die Ansprache des Kunden einfach bloeder und einfacher rezipierbar sein. Weil sich der Mensch nicht mehr für komplexere Zusammenhänge interessiert. Sie sind ihm schlicht egal. Sie verhindern die einfache Aufnahme der Kaufbefehle. Sie sorgen dafuer, das der Kaufanreiz nicht sofort ins Gehirn gleitet.
Fernsehen ist ein ähnliches Beispiel. Fernsehen hat schon lange nicht mehr den Stand eines Kulturguts. Es ist eine uniforme Pampe pseudokulturellens Gehirnkleisters. Es gibt momentan 3 CSI-Ableger, 1 Miltär-CSI (anderer Produzent, billigere Schauspieler), eine Reihe von deutschen CSI–Generika, dazu passend eine weitere Reihe von Pathologen/Profiler/Psychopathen im Polizeidienst-Soaps. Ich gebe ja zu, das ich zwei der CSI-Ableger sehr gerne gucke. Aber warum revoltiert niemand dagegen ständig die selbe Sülze angeboten zu bekommen. Sülze Las Vegas, Sülze New York, Navy Sülze. Jeweils mit einem Plottwist am Ende, so das es schon einen Plottwist darstellt, wenn am Ende mal kein Twist stattfindet, sondern der Mörder einfach mal der Mörder ist und “The End” und die Endcredits laufen durch.
Dazu hält sich dann zusätzlich Quizssender, der ueber mehrere Stunden die Frage “Wieviel Erde ist 2x2x2 m?”. Diese Tatsache ist aus Richtungen betrachtet verheerend: Entweder ist die Bevölkerung zu blöd diese Aufgabe zu errechnen oder sie ist zu doof das Geschäftsmodell des Senders zu erkennen. Es scheint ja zu funktionieren, sonst könnte sich der Sender nicht soooo lange ökonomisch über Wasser halten. Beides auch wieder Ergebnis des Wetware Divides. Allerdings wohl mit etwas anderen Zielen: Einige Leute auf der einen Seite des Divides nehmen mit Freuden das Geld auf der anderen Seite. Make me rich really fast.
Weiterhin : Die Deutschen regen sich über hohe Benzinpreise auf, sammeln aber eifrig Punkte ihrer präferierten Treibstoffdealers, ohne sich zu fragen, woher das Geld für solche Kundenbindungsaktionen herkommt. Geschenke sind es garantiert nicht. Wobei die Prämien übrigens entweder wirklich billig sind, oder aber durch die Zuzahlung vollständig bezahlt.
Und was kommt als Nächstes? Wir züchten uns eine Generation herauf, die fast vollständig auf der falschen Seite des Divides steht. Erziehen sie zu Konsumenten, nicht zu Menschen die etwas erschaffen. Wir reden ihnen ein, das Tokio Hotel, Chipz oder die Lollipops Musik sind. Und nicht eine zielgruppengerechte Abschöpfung des Taschengelds beziehungsweise dem Anteil der nach Erfüllung von Markenwahn und Klingeltonsucht noch davon übrig ist. Wir führen ihnen vor, das es reicht, gut auszusehen, um am Kulturbetrieb teilzunehmen. Die Fähigkeit zur rudimentär synchronisierten Bewegung wird dann von einem coolen Choreographen beim Casting beigebracht, RTL liefert das Marketing und den Proformaklangflokati Herr Bohlen aus Tötensen. Kultur des neuen Jahrtausends.
Nebenbei, Klingeltöne sind eh ein schönes Beispiel für den Divide im vorerwachsenen Alter. Nahezu jedes Handy ist heute in der Lage Musiksamples abzuspielen. Jetzt kann auf zwei Arten seinen Klingelton personalisieren. Entweder ich kaufe mir zu überteuerten Preisen ein total tolles Monatsabo bei einer Firma, die mal mit Zertifikaten für kryptographische Anwendungen angefangen hat und erhalte ein in meinen digitalen Rechten gemanagetes Musikfragment oder ich werde selbst aktiv und erschaffe mittlerweile gut durch Werkzeuge unterstützt einen eigenen Klingelton, und sei es nur durch Ausschneiden aus einer geklauten, gesogenen oder rechtmässig erworbenen digitalen Kopie einer CD.
Was ich mache, hängt von der Seite des Divides auf, der er ich stehe. Entweder bin ich ein blinder unmündiger Konsument, oder ich interagiere mit der Welt und gestalte sie. Selbst wenn es nur so einfache Dinge sind wie mein Klingelton. Ich habe nur die Befürchtung, das letztere Gattung ausstirbt.
(Update: Es hängt zwar nur am Rande mit dem Divide zusammen, aber es scheint mehr Leute zu geben, die Tokio Hotel nicht mögen.)