Wetware Divide

Sechsuhrfünfundvierzig in der früh. Der Katapult bringt mich wieder in die Hauptstadt unseres Staates, um mich dann in einen der Pendlerzuege auszustossen, die mich dann in die Vorortlandeshauptstadt zu bringen. Richtig Lust habe ich keine mehr. Die ist mir umfassend vergangen. Sechsuhrfuenfzig und mein Glaube an die Mitmenschen ist wieder mal erschuettert. Ein Problem mit der freien Meinungsäusserung in Deutschland ist es, das jeder meint, diese auch kund tun zu muessen. Das ist ja auch das Problem: Jeder darf gerne seine Meinung haben, aber zum Rumposaunen sollte diese hinreichtend gegenüber der Realität validiert worden sein.
Ich bin ja meist dazu geneigt, das Gedankengebäude dieser Menschen zum einstürzen zu bringen. Leicht wäre es, denn diesen Gebäuden liegt meistens entweder blosse Unlogik zu Grunde oder schlichte Faktenignoranz zugrunde, die auch für den oberflächlichen Beobachter unmittelbar einsichtig ist. Doch möchte man sich das wirklich antun? Einen Tag später quälen sie andere Menschen mit ihrer Meinung. Die normale Erinnerungspanne eines Menschen lässt die das heute erfahrene über Nacht vergessen. Es ist schwer gegen die die Konditionierung der Medien, der Politiker und des allgemeinen Plebs anzuargumentieren.
Immer noch ueber eine Stunde bis Berlin. Ich habe das gemacht, was eigentlich feige ist. Ich habe den Platz gewechselt. Aber ich bitte da um Verzeihung. Um sieben Uhr morgen bin ich nun mal etwas auf Distanz zur Welt, insbesondere wenn ich schlecht geschlafen habe. Der Deckel der Thermoskanne wandert gerade mitsamt Inhalt der Kante des Nachbarklapptisches entgegen, und ich werde jetzt wohl bald mal Lust generieren müssen, den Sturz zu verhindern. Aber nicht jetzt, habe noch fünf Zentimeter Zeit.
Momentan driftet bei mir die Blackberry-Story durch den Kopf. Die Frage ist doch, war das nicht allen klar, das ein Dienst, der Mails weiterleitet auf ein mobiles Gerät und sich dazu einer zentralen Serverplattform bedient, nicht sowieso inhärent einen Man-in-the-Middle darstellt. Das macht den Dienst nicht sicher oder unsicher an sich. Die Frage ist, wie weit vertraut man seinem Dienstleister, das dieser kein Schindluder mit den Daten treibt. Und zusätzlich: Wie federt man selbst das Risiko organisatorisch ab. Beispielweise durch das Nichtweiterleiten von Mails, die als vertraulich gekennzeichnet sind. Das ist aber etwas zu kompliziert für die Presselandschaft. Es wird ein wenig verkürzt dargestellt: “Blackberry vom BSI als unsicher bezeichnet”. Aber das bekommt man ja noch nicht mal in die Köpfe vieler “IT-Profis rein”: Sicherheit != Technik. Sicherheit = organisatorische Maßnahmen + technische Maßnahmen + ständige Überprüfung. (BTW: Es bringt was, das Büro mit Steffo Weber zu teilen). Wie sollen es dann Journalisten besser wissen?
Viele Fragen und Merkwürdigkeiten lassen sich ohnehin auf diese Frage runterdestillieren. Wie soll man es besser wissen? Die Welt wird komplizierter. Um mit ihr klarzukommen, muss man immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit zu etwas zumindestens scheinbar Sinnvollen verweben könnnen. Scheinbar reicht völllig. In einer Woche interessiert sich sowieso kein Mensch mehr dafür. Trotzdem bleibt dies eine Kunst. Ich glaube nicht an Dinge wie den “Digital Divide” oder an ähnliche Trennungen, die sich an der Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationstechnik festmachen. Der wahre Divide setzt an der Wetware an: Ist ein Mensch in Zukunft in der Lage die Informationen, die ihm angeboten werden, sinnvoll wahrzunehmen und auf dieser Basis die Welt um ihn herum zu gestalten oder konsumiert er die Informationen nur und beschränkt er seine Gestaltungsfähigkeit auf die fachgerechte Zubereitung einer Tiefkühlpizza. Ein Computer oder das Telephon ist letztlich nur ein Werkzeug, ein Hilfsmittel zur Gestaltung. Es hilft mir zu ordnen, zu lagern, aber nicht bei der Gestaltung. Und der Wetware Divide geht durch alle Gesellschaften, durch alle Staaten.
Das ist auch der Grund warum, es keinen Sinn macht, Kindern den Umgang mit Computern in der Schule beizubringen. Es ist nur das Bedienen eines Werkzeugs. Und etwas, das sich gut macht für einen Politiker. Viel sinnvoller wäre es, den Kindern beizubringen, ihre Umwelt wahrzunehmen und zu gestalten. Aber das wäre ja einfach nur Pädagogik.
Ach ja, am Ende der Fahrt: Platz Eins auf der List der Peinlichkeiten für heute ist momentan die etwa fuenfundvierzig Jahre alte Mitreisende, die als Klingelton Nenas “Willst du mit mir gehen?” verwendet. Gratulation. Um achtuhrfuenf wirklich den Wettbewerb für diesen Tag fast sicher gewonnen. Das ist wirklich gut.