Beobachtungen

Ich habe ja schon öfters in diesem Weblog erläutert, das das Interessanteste an Bahnfahren das beobachten anderer Menschen ist. Diese Aussage übersieht einen wichtigen Punkt: Die meisten Menschen sind einfach nur langweilig, so jetzt vom beobachtenden Standpunkt. Deutsche verfallen in eine merkwürdige Starre, wann immer sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Sie steigen ein, gehen in eine Art Stasis über und wachen erst kurz vor ihrem Zielort aus diesem Zustand zwischen Wach und Schlaf wieder auf. Das wird wohl auch einer der Gründe sein, … warum so wenig Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Dieser Zustand ist ja für ein soziales Herdentier, wie es der Mensch nunmal ist im Grunde genommen ein Herdentier. Aber auch über diese Beobachtung habe ich so oder so ähnlich schon mal berichtet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber die Wirkung der Wohlfühlsphäre Auto. Nun ist der Abstand zwischen Menschen in einem handelsüblichen Stau in der Hamburger Innenstadt nicht sehr viel groesser wie die Sitzabstände in einem Fernverkehrszug. Trotzdem benehmen sich die Menschen gleich viel natürlicher. Da wird hemmungslos in der Nase gebohrt um sich danach die Fundstücke dieser Exploration zu betrachen (und nein, meine verehrten Damen, das war kein Kind oder ein per se schon unter dem Generalverdacht des ordinären Verhaltens stehender Mann). Es wird schmetternd gesungen, mitgetanzt, soweit es die Führung durch den Autositz zulässt. Auch die innerpartnerschaftliche Auflösung von Konflikten scheint mit mehr Vehemenz geführt zu werden, wenn der schützende Mantel aus Blech die Kombattanten umgibt.
Aber um nicht nur auf den Autofahrern herumzustochern: Die Bahn stellt genauso für eine Vielzahl von geschmacklichen Verirrungen eine Art Biotop dar. Schlimmstes Beispiel ist der Ballonseidensportanzug der vorzugsweise bei Mitreisenden älteren Semesters unter dem Vorwand der Bequemlichkeit das Reservat der heimischen vier Wände verlässt. Jenes Relikt der 80er Jahre hätte ähnlich wie die pastellfarbenen Blazer (vorzugsweise zu T-Shirt und heller Stoffhose getragen) dem Vergessen auf einem modischen Scheiterhaufen anheim fallen müssen.
Apropos Mode: Nimmt man die Population der bahnfahrenden Frauen zwischen 25 und 30 als repräsentativ für die Gesamtpopulation deutscher Frauen dieser Alterskohorten an, so scheint dieses Jahr die Tarnfarbe Grün die Mode zu bestimmen. Zwischen Hamburg und Bienenbüttel sind etwas 6 entsprechend gekleidete Damen an meinem Abteil vorbeigelaufen. Es scheint wohl mit der zunehmenden Wehrhaftigkeit der Gesellschaften zusammenzuhängen, das Farben die früher als schlammgrün bis NATO–Grün bezeichnet worden wären, den Weg in die Kleiderschränke gefunden haben. In einer Zeit, in der schon das Hören der Worte “Heldenhaft vor Allah” zu einem Grosseinsatz der Polizei führt, muss man sich wohl über nichts mehr wundern.
Um noch mal auf das Thema ältere Semester zurückzukommen: Die Bahn scheint sich wohl damit abgefunden zu haben, das ihre Zielgruppe eher die älteren Menschen sind. Zumindestens wenn ich mir die Werbung in diesen Zügen ansehe. Ich habe noch keine Blasenprobleme und bis zum meinem Ableben ist es hoffentlich auch noch einige Jahrzehnte hin, so das ich noch keine Stiftung mit meinem Erbe (Welches Erbe ?) bedenken kann. Aber genau das wird in einem Zug massiv beworben. Keine ICE–Toilette kommt ohne Werbung für Blasentee aus, dessen Wirkungsnachweis auf Erfahrung beruht. Ich muss mich korrigieren: Auch für die Jüngsten liegt Werbung aus. Sesamstrasse, eine Aktionstour für sicheres Ankommen, sicherlich sinnvoll, aber nach runden 300.000 gefahrenen Autokilometern dürfte ich da auch nicht mehr so ganz die Zielgruppe sein.
Wenn im Übrigen mal Werbung für den Geschäftsreisenden gemacht wird, wird gleich das Stereotyp des umtriebigen, durch alle Betten hüpfenden Mannes bedient. Ich erinnere mich an eine Werbung des Volkswagen-Konzerns für Navigationssysteme (zugegebenermassen schon zwei Jahre oder so her), in denen die erfolgreiche Anbandlung eines Geschäftsreisenden an eine Bewohnerin der jeweiligen Stadt inclusive Vermerk im Navi schrittweise beschrieben wurde. Das ist ja an sich nichts schlimmes. Ich kenne eine Reihe von Beziehungen die so oder so ähnlich gestiftet worden sind. Nur der neben der Dame liegende Herr wurde durch eine Person mit sehr offensichtlichem Ehering dargestellt. Was soll mir nun diese Werbesendung sagen: Get a Navi to get laid ? Der Casanonva oder der männerverschlingende Vamp von Welt braucht ein Navi ? Wobei sich hier die Frage stellt, wie man der Aspirantin/dem Aspiranten die grosse Zahl anderer Namen im Navi erklären will beziehungsweise die standhafte Weigerung das Navigationssystem einzuschalten, auch wenn man sich total verfahren hat.
Über die A7 bin ich nun hinweg. Zeit das Notebook zuzuklappen. Mal sehen, was der heutige Tag an Überraschungen bringen wird.