Bahnfahrt durch Schubladen

Anderhalb Stunden reichen jetzt schon, um einen Menschen von Hamburg nach Berlin zu katapultieren. Kaum mehr Zeit,andere Menschen zu beobachten (neben der Kostenersparnis eigentlich mein Hauptgrund mit der Bahn zu fahren). Man muss sich beeilen, aus einigen Momenten, in denen man eine wildfremde Person sieht, zu vermuten, warum die Person wohl auf der Reise ist. Was den Menschen treibt, worauf der Mensch am Ende der Reise wartet. Am Ende liegt man eh falsch.
Der Herr mit dem Anzug (sieht teuer aus, ist glaube ich ein Anzug von Baldesarrini, weiss ich aber auch nur weil ich eben diesen Anzug letzte Woche beim Anzugkaufen gesehen habe) mit dem Strauss Blumen ist wahrscheinlich nicht auf dem Weg zu seiner Liebhaberin in Berlin, sondern besucht seine gebrechliche Mutter. Die Frau im schwarzen Businessdress mit der schwarzen Anw?innen-Brille, ist wahrscheinlich ist gar nicht auf dem Weg in ein wichtiges Meeting ihrer Anwaltskanzlei, sondern bewirbt sich gerade auf einen neuen Job, weil irgendwas sie aus Hamburg heraustreibt.
Es ist ein Spiel mit den eigenen Wahrnehmungen, den eigenen Vorurteilen, den eigenen Schubladen im Kopf. In solchen Momenten merkt man erst, wie sehr sich die Schubladen im Kopf ?haupt erst im Kopf festgefressen haben. Wie sehr man eigentlich dadurch gepr? ist. Die Frau gegen? f? zu einem latenten Unwohlsein, weil eine Kleinigkeit an die Verflossene erinnert. Die ?ere Dame erinnert zwangsl?ig an die unvermeidliche ?ere Dame in allen m?chen Katastrophenfilmen(die interessanterweise in allen Katastrophenfilmen der fr? 80er Jahre auch von der selben ?eren Schauspielerin gespielt worden ist). Die schwarze Brille auf der Nase einer Frau erzeugt ein Gef?der Unnahbarkeit.
Am Ende der Fahrt fragt man sich auf alle F?e, in wievielen Schubladen man selbst w?end der anderthalb Stunden gelegen hat. Auf jeden Fall hat man f?ervoesitaet beim Gegenueber gesorgt. Ich frage mich nur: Warum?